Atom-Deal: „Im Iran hat man nicht nur applaudiert“

Der Atom-Deal mit dem Iran liefert weiterhin Gesprächsstoff. Zum einen wird er auf internationaler Ebene unterschiedlich bewertet, zum anderen ist auch nicht klar, ob er überhaupt wie im Sommer vereinbart umgesetzt werden kann. Die Gründe für die unterschiedlichen Wahrnehmungen und die Konsequenzen der Vereinbarung diskutierten Experten am Dienstag, 3. November, auf Einladung des Gustav-Stresemann-Instituts in Zusammenarbeit mit der Deutschen Initiative für den Nahen Osten.

 

„Die Diskussion um den Atom-Deal mit dem Iran zeigt, wie grausam verknotet die Situation im Nahen Osten ist“, sagte GSI-Direktor Dr. Ansgar Burghof bei seiner Einführung des 2. Nahost-Talks. Der anschließende Diskussionsverlauf unter dem Titel „Mehr (Un)Sicherheit im Nahen Osten? - Der Atom-Deal mit dem Iran und seine geopolitischen Folgen“ bestätigte diese Einschätzung: Ruprecht Polenz, ehem. Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags und Vorsitzender der Deutschen Initiative für den Nahen Osten, Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, Tel Aviv und Azadeh Zamirirad, Wissenschaftlerin, Stiftung Wissenschaft und Politik, machten deutlich, welche Auswirkungen die Einigung aus dem vergangenen Sommer sowohl für die Beteiligten als auch für den Nahen Osten hat.

„Im Iran hat man nicht nur applaudiert“, berichtet Azadeh Zamirirad zu Beginn der Diskussion. Sie beschrieb, dass die Eliten in dem Land wie auch die Bevölkerung den Atom-Deal unterschiedlich bewerteten. Zwar sei die Fundamentalopposition mit ihrer ablehnenden Haltung in der Minderheit. Die sogenannte Snapback-Option, wonach die Sanktionen gegen den Iran bei Uneinigkeiten im weiteren Prozess wieder eingeführt werden könnten, stoße aber auch in Kreisen auf Kritik, die dem Abkommen grundsätzlich positiv gegenüber stünden. „Es kann auch jetzt noch eine Menge schiefgehen“, gab Zamirirad zu bedenken. So sei nicht klar, ob der Zugang zu den Atomanlagen auch wirklich jederzeit gewährt würde, sagte Zamirirad etwa mit Blick auf die Revolutionsgarden und deren eigenen Interessen. 

 

„Der Versuch des Iran, sich nuklear zu bewaffnen, stellt für Israel eine riesige Herausforderung dar“, schilderte Shimon Stein die Perspektive seines Landes. Auch nach der Vereinbarung mit dem Iran sei „dieses Problem nicht vom Tisch. Das Problem wird vertagt.“ In fünf, zehn oder 15 Jahren werde die Region sich erneut mit einem Iran, der durchaus das Potenzial haben werde, sich nuklear aufzurüsten, befassen müssen. 

 

Im Verlauf der Diskussion kam die von Journalist Thomas Nehls souverän moderierte Expertenrunde schnell auf andere Akteure in der Region zu sprechen, etwa Saudi-Arabien, Bahrein und den Libanon. Insbesondere der Konflikt in Syrien wurde kontrovers diskutiert. „Ein weiterhin von Assad in einer Zentralregierung geführtes Syrien wird es nicht geben“, war sich Shimon Stein sicher. Israel hätte sich zwar lange mit dem Machthaber arrangiert, da er ein „berechenbarer Feind“ gewesen sei. Mittlerweile sei er aber unberechenbar geworden. Während Stein für ein föderales Syrien plädierte, sprach sich Ruprecht Polenz dafür aus, bei der Lösung des Konflikts zunächst einmal an den bestehenden Grenzen festzuhalten. „Ich finde es wichtig, dass wir Grenzänderungen nicht mit Gewalt herbeiführen“, so Polenz. Darüber hinaus warnte er davor, dass „wir uns wieder die Mubarak-Assad-Brille aufsetzen, wenn wir auf die Region schauen“. Man dürfe nicht das glauben, was Machthaber der Region einen glauben machen wollten, dass man die Länder dort „nur autoritär regieren könne oder es herrscht islamistisches Chaos. Ich glaube, dass es wirkliche Stabilität nur geben wird, wenn in der Region Regierungen in der Macht sind, die sich wirklich um die Bedürfnisse der Menschen kümmern.“ 

 

Mit Blick auf die weitere Entwicklung im Iran zeigte sich Azadeh Zamirirad zum Abschluss des Nahost-Talks skeptisch: Sie befürchte, dass das, was konservative Kräfte als außenpolitische Verluste durch den Atom-Deal ansähen, jetzt innenpolitisch kompensiert werden könne. „Wenn wir auf eine Öffnung und Liberalisierungsprozesse hoffen können, dann höchstens nach den Präsidentschaftswahlen 2017 – wenn Rohani wiedergewählt wird und die Implementierung des Atom-Deals erfolgreich sein sollte.“

Den 3. Nahost-Talk plant das Gustav-Stresemann-Institut für das Frühjahr 2016.

2. Nahost-Talk
2. Nahost-Talk: Dr. Ansgar Burghof
2. Nahost-Talk: Azadeh Zamirirad
2. Nahost-Talk: Shimon Stein
2. Nahost-Talk: Ruprecht Polenz
2. Nahost-Talk: Shimon Stein (l.) und Thomas Nehls
2. Nahost-Talk: Azadeh Zamirirad (l.) und Ruprecht Polenz
2. Nahost-Talk: Thomas Nehls (l.) und Azadeh Zamirirad