„Wir brauchen wieder Pioniere für Europa“

Mit einem Festakt hat das Gustav-Stresemann-Institut e.V. am Freitag, 2. September, sein 65-jähriges Bestehen gefeiert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier würdigte das GSI in einer Videobotschaft als einen „wichtigen Pfeiler der politischen Bildung und des europäischen Diskurses in Deutschland“. Auf Einladung des Präsidiums und des Vorstands waren rund 300 Vertreter zahlreicher Partner und Vertreter des öffentlichen Lebens ins GSI gekommen. Zu den Festrednern gehörten der Bonner Oberbürgermeister, Ashok-Alexander Sridharan, der langjährige Präsident des GSI, Erik Bettermann, sowie Professor Thomas Kleist, Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Französischen Journalistenpreises und Intendant des Saarländischen Rundfunks.

In seiner Botschaft verwies Steinmeier auch auf den 90. Jahrestag des Inkrafttretens der Locarno-Verträge und die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. „Beides diplomatische Erfolge des damaligen Außenministers Gustav Stresemann und seines französischen Kollegen Aristide Briand“, so der Bundesaußenminister. „Sie wuchsen aus der Erkenntnis, dass Europa nur dann friedlich, frei und erfolgreich sein kann, wenn es intern von einer starken deutsch-französischen Freundschaft getragen wird und wenn es in eine regelbasierte friedliche und gerechte Weltordnung integriert ist.“ Stresemann und Briand seien Pioniere für Europa in einer Zeit des Nationalismus und Isolationismus gewesen. „Die letzten Monate haben uns gezeigt, dass wir heute wieder Pioniere für Europa brauchen“, so Steinmeier. Briand habe einmal gesagt: „Wir haben Europäisch gesprochen. Das ist eine neue Sprache, die man wird lernen müssen.“ Das GSI sei über die letzten 65 Jahre ein Ort gewesen, „an dem diese Sprache gelernt und gelehrt wurde. Möge uns dieser Ort lange erhalten bleiben.“

„So machen wir den politischen Diskurs möglich“

Dr. Ansgar Burghof, Vorstand und Direktor des GSI, positionierte in seiner Eröffnungsrede die europäische Tagungs- und Bildungsstätte Bonn als „Denkfabrik am Rhein“ - gemeinnützig, unabhängig und überparteilich. „Das Gustav-Stresemann-Institut vereint – getragen von einem gemeinnützigen Verein – die klassische politische Bildung mit den ausgezeichneten Tagungsmöglichkeiten eines großen Konferenzzentrums sowie einem 3-Sterne-Superior-Hotel“, sagte Burghof. Mit unterschiedlichen Angeboten und Formaten gehöre das GSI zu den führenden Institutionen, „die sich in die aktuellen politischen Debatten einmischen und in der Öffentlichkeit als wichtige Stimme gehört werden“. Das GSI setze Themen auf die Agenda der politischen Debatten, biete die inhaltliche und organisatorische Plattform für Diskussionen, organisiere Expertise und führe die Experten zu Themen zusammen. „So machen wir den politischen Diskurs möglich, transparent und öffentlich. So verstehen wir unsere Aufgabe – ganz im Sinne Stresemanns – heute.“ Burghof dankte auch den vielen Partnern des GSI für die langjährige Unterstützung.

Für den Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan „ist das GSI aus dem internationalen Bonn nicht wegzudenken. Als Tagungsstätte ist es ein wichtiger Veranstaltungsort und Treffpunkt, der besonders gerne von Nichtregierungsorganisationen und Ministerien genutzt wird, beispielsweise bei der Resilient-Cities-Konferenzreihe des internationalen Städtenetzwerks ICLEI zu Städten und Klimaanpassung oder auch bei Konferenzen der Vereinten Nationen.“ Das europapolitische Engagement des GSI, „mit dem es vor 65 Jahren als ‚Internationales Jugendsekretariat der Europäischen Bewegung‘ gestartet ist, wird auch künftig gebraucht“, so Sridharan. „Dafür wünsche ich dem GSI weiterhin viel Erfolg. Bleiben Sie auch zukünftig unserem internationalen Bonn als treuer Partner wohl gesonnen!“

 

„Ich wünsche mir heute die Vision und den Impuls von damals zurück“

Dr. h.c. Erik Bettermann warf in seiner Rede einen Blick auf die Historie des Gustav-Stresemann-Instituts. Der jetzige Präsident des GSI hob dabei besonders den Gründungsvater hervor – Berthold Finkelstein. „Wir alle müssen ihm ein ehrendes Gedenken bewahren, aber auch eine Dankbarkeit für dieses Haus“, sagte Bettermann über den 1996 verstorbenen Gründer und langjährigen Vorsitzenden des GSI. In seiner Rede schlug Bettermann, der das GSI seit 37 Jahren im Vorstand begleitet, einen Bogen von den Anfängen des GSI im Haus Lerbach, Bergisch Gladbach, bis heute. „Berthold Finkelstein war sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Vision angetreten, eine bessere, eine zivile Weltgesellschaft aufzubauen“, so Bettermann. „Ich wünsche mir heute die Vision und den Impuls von damals zurück.“

„Die aktuelle Situation des europäischen Einigungsprozesses erinnert mich ein wenig an die Zeremonie einer Springprozession: zwei Schritte nach vorne, einer zurück“, sagte Prof. Thomas Kleist in seiner Festrede. Unter dem Titel „‘Springprozession Europa‘ und die Rolle der Medien“ entwickelte der Vorstandsvorsitzende des Deutsch-Französischen Journalistenpreises und Intendant des Saarländischen Rundfunks vier Thesen, um wieder Fortschritte im Sinne des europäischen Einigungsprozesses zu erreichen. Unter anderem forderte Kleist die Schaffung eines europäischen Kommunikationsraumes. „Hierfür wiederum brauchen wir unabhängige Medien und Journalistinnen und Journalisten, die dieses Ziel tagtäglich als Arbeitsauftrag verstehen“, so Kleist. Die Digitalisierung und Virtualisierung der Kommunikation böten hierfür neue, beste Chancen – etwa bei der Gründung einer europäischen Alternative zu Facebook. „Ein Netzwerk, das unseren europäischen Standards von Datenschutz und Verbraucherschutz entsprechen würde. Wenn Deutsche und Franzosen in der Lage sind, zusammen Großraum-Passagierflugzeuge zu konstruieren, warum sollen wir es dann nicht auch schaffen, eine gemeinsame Kommunikationsinfrastruktur aufzubauen, die für unser Zusammenleben und das weitere Zusammenwachsen von großer eminenter Bedeutung wäre?“ Das Positive an einer Springprozession sei aber, dass man sich sicher sein kann, ans Ziel zu kommen, „nur dauert es halt länger. Der Weg ist dabei derselbe, aber man muss ihn mehrmals gehen, wohl wissend, dass man immer wieder Rückschritte macht, aber sie überraschen nicht mehr, denn sie sind einkalkuliert.“

 

Eröffnung der Sommmerakademie

Der Festakt war gleichzeitig die Eröffnung der 27. Europäischen Sommerakademie des GSI, die für zehn Tage junge Europäer aus Ost- und Westeuropa in Bonn, Luxemburg und Brüssel zusammenbringt. Elena Zurli, Teilnehmerin der Europäischen Sommerakademie, diskutierte unter der Moderation von Ute Lange, Deutsche Welle Akademie, mit dem Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, und Dr. Ansgar Burghof die Zukunft der politischen Bildung und die Strahlkraft der europäischen Idee. Zurli, die aus Italien kommt, wünschte sich, dass junge Menschen heute früher zu europäischen Bürgern ausgebildet würden. „In der Schule habe ich zum ersten Mal von der EU als Gemeinschaft gehört, als ich 16 Jahre alt war“, berichtete sie. Sie forderte, dass man in junge Menschen investieren sollte, um ihnen sowohl eine nationale aber auch eine europäische Identität zu vermitteln. Um dies zu erreichen müsse die politische Bildung zwei Wege gehen, erklärte Thomas Krüger. „Wir brauchen eine entschleunigte politische Bildung, die Raum schafft für Reflexion“, sagte Krüger. Man brauche aber auch eine beschleunigte politische Bildung, die neue Möglichkeiten wie soziale Netzwerke nutze. „Wir haben auf diesem Weg viele neue Zielgruppen erreicht.“ Sein Plädoyer: „Kopf hoch – und nicht die Hände!“

Seit mehr als sechs Jahrzehnten veranstaltet das Gustav-Stresemann-Institut e.V. als Träger der politischen Bildung Konferenzen, Symposien, Tagungen, Workshops und Seminare zu relevanten politischen Fragen. Das Spektrum der Angebote reicht von der politischen Bildung über die Gründung von Netzwerken bis hin zu Diskussionsveranstaltungen und unserem Newsletter „Weltenbürger“. Im GSI finden jährlich über 2.000 Veranstaltungen mit rund 190.000 Tagungsbesuchern statt. Über 50.000 davon übernachten im behindertengerecht angelegten Drei-Sterne-Superior-Hotel des GSI. Darüber hinaus ist das GSI in Brüssel und Berlin präsent und greift dort wichtige politische Impulse frühzeitig für Veranstaltungen in Deutschland auf. 

Fotos: Eduard N. Fiegel