„Ohne differenzierte Berichterstattung keine europäische Zivilgesellschaft“

Auf Einladung des GSI haben Medienmacher aus Frankreich und der Bundesrepublik – darunter Preisträgerinnen und Preisträger des Deutsch-Französischen Journalistenpreis (DFJP) – am 24. April im GSI über die Rolle der Medien in Europa diskutiert. In drei Panels ging es unter anderem um interaktive Formate und eine europäische Identität. Eröffnet wurde die Tagung SR-Intendant Professor Thomas Kleist, den Abschluss bildete eine Vorführung der TV-Dokumentation „Stille Retter“.

„Heute wollen wir über das Bild nachdenken, das von Europa, von den  Nachbarinnen und Nachbarn in unserer Presse entworfen wird. Und darüber, wie  unser Bild wiederum in ausländischen Medien aussieht“, begrüßte GSI-Direktor Dr. Ansgar Burghof die Teilnehmer. Burghof verwies darauf, dass „wir in diesen letzten turbulenten europäischen Debatten auch erlebt haben, dass für obsolet gehaltene Stereotype fröhliche Urstände feiern.“ Als Beispiele für diese „Zerrbilder“ nannte Burghof unter anderem „die faulen Griechen, die auf ‚unsere Kosten‘ in den Tag leben“ oder „die selbstverliebten französischen Nachbarn, die eine Grande Nation sind, aber in unsere Kassen greifen wollen.“ Jedes Mal, „wenn diese fatalen Bilder wieder bemüht werden, rückt die Idee von einem solidarischen und progressiven Europa weiter in den Hintergrund. Das dürfen wir nicht zulassen!“ 

 

Der Intendant des Saarländischen Rundfunks, Professor Thomas Kleist, bekräftigte in seiner Keynote seine Forderung nach der Schaffung eines europäischen Kommunikationsraumes unter anderem mittels des Aufbaus einer eigenen europäischen digitalen Plattform – und zwar als Ergänzung zu den internationalen Plattformbetreibern, den sogenannten GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple): „Es freut mich, dass der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm diese Idee ebenfalls für eine große nationale Kooperation zusammen mit den Verlegern verfolgt“, sagte Kleist. Und weiter: „Wenn Deutsche und Franzosen in der Lage sind, zusammen Großraum-Passagier-Flugzeuge zu konstruieren und zu bauen, warum sollen wir es dann nicht auch schaffen, eine gemeinsame Kommunikationsinfrastruktur zu stemmen, die für unser künftiges Zusammenleben und das weitere Zusammenwachsen Europas von essentieller Bedeutung sein wird.“ Er sei der festen Überzeugung, so Kleist, „dass die europäische Idee langfristig nur dann eine realistische Chance auf Verwirklichung und praktische Umsetzung hat, wenn es uns gelingt, aus dem politischen Raum ‚Europa‘ einen echten europäischen Kommunikationsraum zu schaffen. Hierfür wiederum brauchen wir unabhängige Qualitäts-Medien und Journalistinnen und Journalisten, die dieses Ziel tagtäglich als Arbeits-Auftrag verstehen. Das Saarländische Mediengesetz und die tägliche Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Saarländischen Rundfunks könnten dabei Pate stehen.“ Dabei sollte immer auch der europäische Gedanke mitschwingen, sagte Kleist: „Das Andersartige zulassen, erfahren, davon lernen und zwar gegenseitig.“

 

Das erste der drei anschließenden Panels diskutierte die Französisch-Deutsche Berichterstattung. Dr. Landry Charrier, Leiter Institut français Bonn, Attaché für Hochschulkooperation der französischen Botschaft, beklagte am Beispiel des aktuellen Eisenbahnerstreiks in Frankreich, dass etwa die deutsche Berichterstattung Klischees bediene. „Das sieht es so aus, als kriegten die Franzosen ihre Probleme nicht gelöst“, so Charrier. Die Hintergründe des Streiks und insbesondere die besondere gesellschaftliche Rolle von Eisenbahnern würden so gut wie gar nicht dargestellt. Susanne Wittek verwies in dem Zusammenhang auf die Bedeutung historischer Hintergründe. „Der Geschichtsbezug ist fundamental wichtig“, sagte die Autorin und DFJP-Preisträgerin von 2017. Glücklicherweise gebe es in Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Geschichtsbewältigung. Diese sei wichtig – auch um zu verhindern, dass Populisten jeweils in Regierungsverantwortung kämen. Für den französischen Journalisten Henri de Bresson stand außer Frage, dass Medien sich nicht immer die Mühe machten, „alles zu verstehen – in Deutschland wie in Frankreich.“ Dafür machte er unter anderem die derzeitige Ausstattung von Redaktionen verantwortlich, deren Spielräume immer enger würden. Eine Auffassung, die Sabine Wachs, Korrespondentin im ARD-Studio Paris und Preisträgerin 2017 für „SOS im Mittelmeer“, teilte. Es sei aber nicht nur eine logistische Entscheidung, die sie und ihre Kollegen täglich abwägen müssten, so Wachs. „Wir gucken natürlich auch, welches Thema aus Frankreich die Menschen in Deutschland interessiert. Und müssen dazu auch die Lage dort mit in Betracht ziehen. Wenn in Deutschland etwa noch die Koalitionsgespräche laufen, ist das Interesse an französischen Themen einfach nicht so hoch.“

 

„Interaktive Formate – Geschichten über die Grenzen hinweg erzählen“ lautete das Thema des zweiten Panels. Für Marcus Bensmann, Recherchezentrum CORRECTIV, war klar, dass viele internationale Themen auch nur grenzüberschreitend bearbeitet werden könnten. „Bei Flüchtlingskrise, Klimawandel oder Medikamentenhandel verlassen Sie schnell den nationalen Blickwinkel“, so der DFJP-Preisträger aus dem Jahr 2015. Stefan Brandenburg, Leiter der Programmgruppe Aktuelles Fernsehen beim WDR, berichtete von den Herausforderungen, insbesondere junge Menschen mit Nachrichten zu erreichen. „Wir müssen uns neue Erzählformen ausdenken“, sagte Brandenburg. Dafür müssten Nutzer und auch Soziale Netzwerke nahtlos ins lineare Programm integriert werden. Auch Vera Rudolph, Journalistin und Referentin in der SWR Intendanz, plädierte dafür, neue Instrumente einzusetzen und Nutzer durch Öffnung von Formaten einzubinden. „Das ist eine Bereicherung und eine Herausforderung zugleich“, räumte die DFJP-Preisträgerin von 2017 ein. Aber durch Live-Streams auf Facebook etwa hätte man direkten Kontakt zum Publikum und könnte dessen Perspektive berücksichtigen. 

 

Um die Rolle der Medien beim „Traum einer Europäischen Identität“ ging es im letzten Panel des Medienfachtags. Um hier im Sinne der europäischen Idee wirken zu können sei es wichtig, dass „wir möglichst viele Journalisten haben, die im anderen Land waren und wissen, wie der andere funktioniert“, stellte Dr. Markus Ingenlath, Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW), gleich zu Beginn der Diskussion fest. „Man muss die andere Seite kennen und schätzen.“ Für die Schaffung einer europäischen Identität sei es gleichzeitig wichtig, in der Berichterstattung erklärbar zu machen, was in Brüssel geschieht, so Detlef Drewes, der als Brüssel-Korrespondent für mehrere Regionalzeitungen arbeitet. „Wir müssen die Suche nach europäischen Kompromissen dokumentieren“, sagte Drewes. „Und wir müssen die Verfahren und Worte für Leute erklären, deren politisches Wissen nicht so stark ausgeprägt ist.“ Darüber hinaus sei es wichtig zu vermitteln, dass in Brüssel gemeinsam entschieden werde, ergänzte Carolin Ollivier, Redaktionsleiterin des ARTE Journals und stellvertretende Hauptabteilungsleiterin Information bei ARTE. „Das macht schon viel aus, wenn das den Leuten bewusst wird.“ Dies müsse nicht zwangsläufig unkritisch sein: „Wenn wir Journalisten kritisch sind, tut das den Institutionen auch gut“, betonte Ollivier. 

 

Diesen Punkt griff auch Dr. Ansgar Burghof in seinem Resümee auf. Medien zeigten, „wo die Hemmnisse liegen, wie beschwerlich der Prozess sein wird und wieviel Zeit und Geduld ihm gewidmet werden müssen.“ Gleichzeitig informierten Medien „uns über die Gefahren für ein demokratisches, solidarisches Europa, wie sie etwa von rechtspopulistischen Strömungen und Parteien ausgehen.“ Burghof weiter: „Ohne eine differenzierte Berichterstattung wird es keine europäische Zivilgesellschaft geben. Und ohne engagierte und informierte Bürgerinnen und Bürger ist das europäische Projekt langfristig zum Scheitern verurteilt.“ Burghof kündigte an, den mit der Medienfachtagung begonnen Diskussionsprozess im Rahmen weiterer Veranstaltungen fortzusetzen.

 

Zum Abschluss der von Patrick H. Leusch, Head European Affairs der Deutschen Welle, moderierten Tagung zeigte Susanne Wittek ihren 2017 mit dem Deutsch-französischen Journalistenpreis ausgezeichneten Film „Stille Retter“. Der Film gebe „den während des Zweiten Weltkrieges geretteten, jüdischen Kindern und den Nachkommen ihrer Retter, den ‚ganz normalen‘ Franzosen, eine Stimme“, so die Jury. „Die Stärke dieses Dokumentarfilms liegt in der Qualität der Interviews, die bewegende Zeugnisse liefern.“ Wittek stand dem Publikum anschließend Rede und Antwort.

 

Partner der Tagung waren der Deutsch-Französische Journalistenpreis, das Institut français Bonn, die Deutsche Welle, die Deutsch-Französische Hochschule und das Deutsch-Französische Jugendwerk.

 

Das DFJW hat zur Medienfachtagung einen Blog zusammengestellt

 

Fotos: Eduard N. Fiegel