„So vielfältig wie die Gesellschaft ist, so vielfältig sind auch die Zugänge zu politischer Bildung.“

Interview mit Daniel Weber, ab 1. Mai 2022 Leiter der Abteilung Politische Bildung im GSI.

Lieber Herr Weber, herzlich willkommen im GSI! Sie waren bisher beim DGB Bildungswerk BUND in Düsseldorf als Bereichsleiter Migration und Gleichberechtigung tätig. Jetzt wechseln Sie zum GSI und übernehmen am 1. Mai 2022 die Leitung der Abteilung Politische Bildung. Worauf freuen Sie sich?

Zunächst einmal auf viele Begegnungen! Nach diesen harten Monaten der Corona-Schließungen geht es wohl allen so, dass sie sich nach dem direkten Austausch sehnen. Für mich heißt das: Gespräche mit den neuen Kolleg*innen, Partner*innen und Teilnehmenden zu führen und die Abteilung so weiterzuentwickeln, dass wir vielen Menschen sehr gute Bildungs- und Austauschmöglichkeiten eröffnen. Das Tagungszentrum in Bonn bietet dafür einen tollen Rahmen. In den ersten Tagen konnte ich mich schon davon überzeugen, dass es sehr angenehm ist, hier mit vielen unterschiedlichen und motivierten Menschen in Kontakt zu kommen – auch wenn Corona uns alle weiterhin beschäftigt…

Zurzeit erleben wir hochpolitische Zeiten, in denen viele Krisen, Konflikte bis hin zu Kriegen die Bürger*innen beschäftigen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Klimakatastrophe, Nahrungsmittelknappheit und Inflation, um nur einige Themen zu nennen. Welche Rolle kann die politische Bildung in diesen Zeiten übernehmen?

Gerade in Zeiten von Krisen, Herausforderungen und Umbrüchen brauchen Menschen Orte, wo sie sich über das Erlebte austauschen, wo sie verlässliche Informationen erhalten und lernen, wie man diese alles bestimmenden Themen selbst mitgestalten kann. Wir wollen als Politische Bildung verschiedene Perspektiven zeigen und: wie man Konflikte demokratisch und friedlich löst und welche Ansätze es dafür gibt. Dabei können strukturelle Zusammenhänge sichtbar werden aber auch ganz persönliche Geschichten geteilt werden. Die Themen Nachhaltigkeit, Demokratie und Frieden sind schon sehr lange Teil der politischen Bildungsarbeit des GSI und werden dies sicherlich auch unter meiner Leitung bleiben.

Wo sehen Sie momentan wichtige inhaltlichen Schwerpunkte, die politische Bildung beackern sollte?

Neben den eben genannten Themenfeldern sind dies im Grunde alle gesellschaftlichen Gegenwarts- und Zukunftsthemen: Bildung, Arbeit, sozialer Zusammenhalt, internationaler Austausch, Entwicklungspolitik, Gerechtigkeit, Partizipation, Grundrechte, Diversität, Migration und Ausgrenzung. Als Abteilung des GSI haben wir den Anspruch alle diese Themen zu bearbeiten. Der Schwerpunkt sollte sich stark danach richten, was einem hilft, in mehreren Themen voran zu kommen, also mehr über Kompetenzen zu sprechen: Was hilft mir, Politik und Gesellschaft ganz generell zu verstehen? Welche Mechanismen braucht es, um Konflikte zu lösen oder Partizipation sicherzustellen? Wie kann ich selbst inklusiv und nachhaltig handeln? Wo bekomme ich verlässliche Informationen? Darauf sollten alle Angebote ausgerichtet sein.

Der Anspruch der Bildungsangebote ist, ALLE zu erreichen. Wie kann das gelingen? Was sind da erfolgreiche Modelle?

So vielfältig wie die Gesellschaft ist, so vielfältig sind auch die Zugänge zu politischer Bildung. Die Herausforderung für uns besteht darin, diese Zugänge genau zu kennen und Angebote darauf auszurichten. Es geht dabei nicht darum, immer den einfachsten Weg zu wählen, also beispielsweise Seminare anzubieten für Menschen, die mir sehr ähnlich sind. Es geht vielmehr darum, gezielt mit Partner*innen, potentiellen Teilnehmenden, Expert*innen und im Themenfeld besonders Betroffenen zu schauen, was könnte der Zielgruppe helfen. Erfolgreich ist man dann, wenn man dabei auf andere Akteure kooperativ zugeht und im Verbund arbeitet – zum Beispiel mit den Schulen, der Sozialen Arbeit, mit Arbeitsmarktakteur*innen, mit Beratungseinrichtungen, Aktivist*innen oder anderen Institutionen. Wenn alles ineinandergreift in einer Art Mehrebenen- und Multi-Stakeholder-Ansatz, dann können Ziele erreicht werden. Dabei müssen die Bedarfe, Kompetenzen und Interessenlagen der Teilnehmenden eine wichtige Rolle spielen und auch Schnittstellen zur beruflichen oder schulischen Bildung bewusst bearbeitet werden. Dies macht die Abteilung bereits in vielen Bereichen gut, wie zum Beispiel in der Arbeit mit Berufsschulen.

Die Entwicklung von Bildungsangeboten muss immer wieder aktuelle Debatten aufnehmen. Welchem Buch, welchem Film, welchem digitalen Angebote verdanken Sie persönlich das letzte große (politische) Aha-Erlebnis?

Ein Buch, was mich sehr bewegt hat war „The Underground Railroad“ von Colson Whitehead. Ich habe mir nach der Lektüre direkt mehrere andere Bücher des Autors besorgt. Diese Abrechnung mit der Sklaverei hat auch mich beim Lesen herausgefordert. Es hat mich darin bestärkt weiter gegen jede Form des Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu arbeiten.

Der 1. Mai ist ein gutes Datum, um eine neue Aufgabe zu übernehmen. Was wünschen Sie sich im Blick auf die Herausforderungen, die jetzt vor Ihnen liegen?

Der erste Mai ist tatsächlich ein wichtiges Datum. Er zeigt jedes Jahr, wie wichtig es ist, seine Interessen lautstark und kreativ auszudrücken, zeigt aber auch immer wieder die großen Herausforderungen der Demokratie: Wie schaffe ich es, alle Interessen in einen friedlichen Dialog zu bringen? Wie ermögliche ich Beteiligung und Gleichberechtigung? Was kann ich dagegen tun, dass Menschen sozial ausgegrenzt werden?

Ich wünsche mir für meine Arbeit gute Rahmenbedingungen, um diese Fragen gemeinsam mit dem Team und den Kooperationspartnern anzugehen. Wir haben viele kreative Ideen und brauchen dafür Unterstützung, Rückendeckung und sicherlich auch die Ressourcen. Wir haben viel vor!

Wir freuen uns auch auf die gemeinsame Arbeit!