Wie die AfD versucht, Persönlichkeiten der Geschichte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren

Die Meldung erreichte das Gustav-Stresemann-Institut in Bonn (GSI) im Dezember 2017: Die AfD plane, eine parteinahe Stiftung zu gründen und sie nach Gustav Stresemann zu benennen. Unsere ersten Reaktionen waren von zwei Empfindungen geprägt: Empörung darüber, dass sich eine Rechtsaußen-Partei anheischig macht, sich des Namens des Friedensnobelpreisträgers Stresemann zu bemächtigen und zugleich die Sorge, dass das Vorgehen der AfD sich für das GSI als europäische Tagungs- und Bildungsstätte Bonn geschäftsschädigend auswirken wird.

 

Von Erik Bettermann

Schnell waren wir uns im Klaren, dem politischen Wollen der AfD öffentlich unsere Meinung entgegenzusetzen. Unter der Überschrift „Das GSI steht für Demokratie, Rechtstaatlichkeit und ein friedliches Europa“ zeigten wir Haltung: „Die Idee der AfD, sich für eine politische Stiftung mit dem Namen Gustav Stresemanns zu schmücken, zeigt einmal mehr, wie perfide und demokratieverachtend diese Partei ist.“ Denn das in der Satzung festgelegte Ziel des GSI ist es, insbesondere durch Jugend- und Erwachsenenbildung politisches Verantwortungsbewusstsein zu stärken sowie die europäische Einigung und internationale Zusammenarbeit zu fördern. Die AfD, erläuterte der Vorstand des GSI, Ansgar Burghof, im Dezember 2017, widerspreche mit ihrer Ausgrenzungsstrategie diesen Idealen. Sich dennoch den Namen eines Staatsmanns auszuwählen, der 1926 für seine Aussöhnung mit Frankreich mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde und den Grundstein für eine europäische Integration gelegt hat, sei „eine Verhöhnung nicht nur des Lebenswerks Gustav Stresemanns, sondern auch aller, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unermüdlich für ein friedliches und demokratisches Europa eingesetzt haben.“

Für uns war klar: Wir werden uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehren, dass die Arbeit Stresemanns, der Einsatz der Gründer unseres Institutes und aller, die sich darin für Demokratie und Rechtstaatlichkeit einsetzen, durch die AfD beschädigt wird.

Mit unserer eindeutigen Haltung konnten wir uns in zahlreichen Medien positionieren und uns nachdrücklich gegen die AfD stellen. Im Laufe der darauf folgenden Tage meldeten sich immer mehr Stimmen, die uns in unserer Einschätzung bestätigten: von der Familie Stresemanns bis zu Vertretern aus Medien, Wissenschaft und Politik. Sie alle machten deutlich, dass es für die Benennung einer der AfD nahen politischen Stiftung nach Gustav Stresemann keine inhaltliche Rechtfertigung gebe. 

Mit dem Unterfangen, Persönlichkeiten der Geschichte für die Ziele der AfD zu vereinnahmen, versucht die selbsternannte Alternative zweierlei: Zum einen strickt sie an dem Mythos, sie seien die wahren Hüter des Erbes jener Persönlichkeiten, hätten das Recht, sich auf sie zu berufen, und alle anderen hätten das Recht sich darauf zu berufen längst verwirkt. Wie sehr diese Selbsteinschätzung an der Wirklichkeit vorbeigeht, zeigt in diesem Fall ein Blick in die Geschichtsbücher. Die Politik Gustav Stresemanns war ausgerichtet an der Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern – vor allem mit Frankreich. Stresemanns Friedenspolitik – auch sein Erfolg, Deutschland als vollwertiges Mitglied in den Völkerbund geführt zu haben – steht diametral zu Politik und Programmatik der AfD. Stresemanns größter diplomatischer Erfolg waren die Verträge von Locarno 1925, mit denen ihm die Rückkehr Deutschlands in die Staatengemeinschaft gelang. Für die Aussöhnung mit Frankreich erhielt Stresemann 1926 gemeinsam mit Aristide Briand den Friedensnobelpreis. Nicht zufällig war Stresemann die Hassfigur der Rechten in der Weimarer Republik, die ihn als „Erfüllungspolitiker“ schmähten. 

Stresemann personifizierte wie kaum ein anderer Politiker der 20er Jahre den Typus des „Vernunftrepublikaners“. Dieser Antipopulist steht konträr zum Selbstverständnis der AfD.

Zum anderen gehört die Umdeutung von Begriffen und historischen Personen zur Strategie der AfD, wenn es darum geht, sich den Weg in die Mitte der Gesellschaft zu bahnen. „Wahlerfolge der Rechtspopulisten tragen dazu bei, dass sich die Achse des Parteiensystems insgesamt nach rechts verschiebt“, schreibt der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APUZ 40/2015). Einen angesehenen Staatsmann als Namensgeber für eine parteinahe politische Stiftung auszuwählen, ist Teil eben jener Strategie. Ganz davon zu schweigen, dass die AfD vermutlich sehr wohl weiß, dass solche Umdeutungsversuche medial begleitet werden und somit zu Aufmerksamkeit führen.

Auf ihrem Parteitag hat die AfD entschieden, ihre parteinahe Stiftung zunächst nach Erasmus von Rotterdam (Desiderius-Erasmus-Stiftung) zu benennen. Auch hier ist die Absicht deutlich erkennbar, einen längst etablierten Namen umzudeuten und für eigene – ganz andere –  Zwecke einzusetzen. Geleitet wird die Stiftung von der früheren CDU-Abgeordneten Erika Steinbach. Innerhalb der AfD hatte sich der Weidel-Flügel für Erasmus stark gemacht. Alexander Gauland beharrte auf Stresemann als Namensgeber. Der Parteitag verwies allerdings darauf, die Stiftung in Gustav-Stresemann-Stiftung umzubenennen, sobald ein solcher Schritt „rechtssicher“ sei.

Das GSI behält sich vor, für den Fall der Fälle juristisch gegen die AfD vorzugehen. Im Übrigen: Es gibt in Bonn bereits eine als rechtsfähig anerkannte „Gustav-Stresemann-Stiftung“, die aber gehört zum GSI. 

Erik Bettermann, ehemaliger Intendant der Deutschen Welle, ist Präsident des Gustav-Stresemann-Institut e.V. und Vorstandsmitglied von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Anmerkung: