Positionen: Über alle Ma(a)ße(n) herausfordernd

Es ist schon viel an Kommentaren in den verschiedenen Medien zu der so genannten "Causa Maaßen" geschrieben worden. Dieser Text ist daher weder als eine Chronologie, noch eine Einordnung der Vorgänge oder gar als Abrechnung "mit denen da oben in Berlin" zu verstehen. Er beantwortet stattdessen die für das GSI und seine Arbeit relevante Frage: Warum ist dies alles für unsere Arbeit als politische Bildner relevant?

Sowohl die jüngsten Äußerungen von Herrn Maaßen als auch der mediale Umgang aller (!) Akteure mit diesen Äußerungen und dem eigentlichen Anlass ebendieser überlagern viele unserer Programme und Projekte. Dieser Vorgang an sich ist nichts Neues– ein jedes Programm der politischen Bildung ist verankert in der politischen Realität und greift tagesaktuelle Geschehnisse auf sowie die Orte ebendieser. Nicht die Orte allein sind relevant für unsere Arbeit, sondern letztlich die Handlungen der Menschen an diesen Orten. Orte sind Symbole und Kulminationspunkte menschlichen Handelns. Aber auch diese Symbolisierung ist nicht unbedingt eine "neue Herausforderung" im Kontext von Herrn Maaßen.

Was aber eine neue Qualität hat, ist die atemberaubende Diskrepanz zwischen den Erwartungen an politische Bildung als "Demokratieschule" seitens Politik und Gesellschaft einerseits und andererseits dem politischen Handeln sowie der Darstellung dessen in den Medien. Hierbei sind die Vorgänge um Herrn Maaßen als stellvertretend und mustergültig für Personalisierung und Effekthascherei im politischen Diskurs zu betrachten. Eine derart hohe Eskalationsgeschwindigkeit verbunden mit starker politischer Symbolik bei größtmöglichen Interpretationsspielräumen ist für eine angemessene Antwort der politischen Bildung herausfordernd. 

Politische Bildung soll informieren, ohne zu überwältigen und zum Reflektieren anleiten ohne tendenziös zu sein. Dies gestaltet sich zunehmend schwieriger in einer Zeit, in welcher das für politische Bildung verantwortliche Bundesministerium des Inneren zunehmend scheinbar selbst tendenziös arbeitet. Ein verantwortlicher Minister, der die Migration als "Mutter aller Probleme" bezeichnet, konterkariert dadurch sämtliche Initiativen seiner nachgeordneten Behörden Migrant*innen als Multiplikator*innen in die politische Bildung zu integrieren. Der Umgang mit Herrn Maaßen – scheinbares Fehlverhalten wird politisch instrumentalisiert und soll aus objektiv nicht nachvollziehbaren Gründen belohnt werden – dominiert den aktuellen Diskurs. Doch nicht die Handlungen der Akteure oder eine nüchterne Analyse werden im Diskurs aufgegriffen, sondern eine Personalisierung und Politisierung findet statt. 

Denn es geht bei der Diskussion um Herrn Maaßen nicht mehr um den Extremismus von Rechts und Links im öffentlichen Raum oder den Gründen für verabscheuungswürdige Gewaltverbrechen wie dem Totschlag in Chemnitz – es geht um politische Ränkespiele und mediale Effekthascherei. Und dies lässt sich in unseren Programmen bei den Teilnehmenden auch beobachten. Es geht weniger um sach- oder lösungsorientierte Diskussionen, sondern viel stärker um Personalisierung, Emotionalisierung und Zuspitzung. Immer öfter hören wir ein "die, da oben" oder andere Beispiele für die scheinbare oder zugeschriebene Abgehobenheit des politischen Systems der Bundesrepublik. Dieser Herausforderung in der politischen Bildungsarbeit gilt es sich zu stellen, und dies machen wir tagtäglich im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn mit unseren Teilnehmenden und Kooperationspartnern. 

Die aktuell stattfindenden Vorgänge, Interpretationen und Erklärungen um Herrn Maaßen sind nur ein Sinnbild des momentan vorherrschenden politischen Diskurses innerhalb der politischen Bildung. Sie sind vielleicht auch ein Zerrbild, hinter dem sich andere Ziele und Interessen verbergen.

Es gilt daher für uns politische Bildner in der Zukunft umso stärker mit allen Beteiligten in den kritischen Dialog miteinander zu treten und für gemeinsame Werte zu streiten. Es geht um Respekt und ein Zuhören sowie eine Kultur des "Ausreden-lassens" anstelle des Niederschreiens, des normativ-moralischen Diktats oder des Andeutens. Es geht auch um die Frage, inwieweit ich mit politischer Bildung und Aufklärung versöhnen und re-integrieren kann ohne Menschen abzuschreiben und zu spalten in ein "wir" und ein "die".

Politische Bildung benötigt dazu auch eine starke Verortung in der Politik – aber in Maßen und nicht wie in der Diskussion um Herrn Maaßen.