Die großen Aufgaben der europäischen Solidarität

Am 9. Mai. 2019, dem Europatag, fand im GSI die zweite Informations- und Diskussionsveranstaltung zu den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament statt.

Im Mittelpunkt stand die Frage, mit welchen Aufgaben die neuen Abgeordneten konfrontiert sein werden.

 

Ansgar Burghof, Direktor und VorstandDer Direktor des GSI, Dr. Ansgar Burghof, betonte in seiner Begrüßung, dass in einer Demokratie die „Wahlen nicht nur der Ausdruck der souveränen Entscheidung der Bevölkerung“ sind, also „der Tag, an dem die Wählerinnen und Wähler ihren Willen kundtun“. Sondern, so Burghof: „Wahlen sind auch eine Zäsur, sie bieten Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, das Erreichte zu überprüfen und neue Pläne zu entwerfen. Die neue Legislaturperiode eröffnet die Chance, darüber nachzudenken, was für uns, für das Gemeinwohl wichtig ist.“

Claudia Walther, Europa-Kandidatin der SPDModeriert von Bernd Neuendorf, Journalist und Staatssekretär a.D., erörterten die Podiumsgäste, was im derzeitigen Europa „falsch laufe“ und welche Schlussforderungen für die nächste Legislaturperiode daraus gezogen werden sollten. Für Claudia Walther, Europa-Kandidatin der SPD, steht die „Überwindung der sozialen Spaltung“ ganz vorne auf der Agenda. Diese Spaltung sei auch verantwortlich für zunehmende Erfolge rechter Parteien, deshalb müsse „Schluss sein mit der rigiden Sparpolitik“. Walther nannte eine Reihe von Maßnahmen, um die soziale Lage zu verbessern, wie ein Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des jeweiligen mittleren Einkommens, eine Arbeitslosenrückversicherung, um die Sozialversicherungen in Krisenländern zu unterstützen, und eine Jugendgarantie, um Arbeitslosigkeit insbesondere von jungen Menschen zu  verhindern. Auch auf der Einnahmenseite müsse mehr Gerechtigkeit geschaffen werden: „Unternehmen dürfen sich nicht aus der Steuer herausschleichen können!“, forderte Walther.

Pascal Thibaut, Vorsitzender des Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland (VAP)Pascal Thibaut, Vorsitzender des Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland (VAP), berichtete, dass es in Frankreich durchaus Zustimmung zu den Mindestlohn-Plänen gegeben habe: „Dieser Geist wird in Frankreich geteilt.“ Auch Thibaut beobachtet, dass „durch die Finanz- und Wirtschaftskrise die Ungleichheit zugenommen hat“. Und in dieser Krise nähmen die Fliehkräfte zu, die die EU auseinandertrieben. „Die EU wird dann mit allem Negativen verbunden.“

Peter Ruhenstroth-Bauer, Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe e.V.Die Forderung nach mehr Solidarität dürfe jedoch nicht an den Grenzen der EU enden, wandte Peter Ruhenstroth-Bauer, ein: „Jeden Tag ertrinken im Mittelmeer sechs Menschen bei dem Versuch nach Europa zu flüchten“, so der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe. Dabei sei mit 2, 6 Millionen nur ein sehr kleiner Bruchteil der 68,6 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, überhaupt in Europa. Die Hauptlast trügen arme Länder wie etwa Bangladesch, Uganda oder Jordanien. „Hier sind wir in Europa gefragt, um Schutz, Sicherheit und Solidarität zu garantieren.“

Auch für Luisa Barbas, die sich bei DiEM25 - Democracy in Europe Movement 2025 engagiert, ist die Lage der Geflüchteten ein zentrales Anliegen: „Das Leid der Menschen wird ausgenutzt, um Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Die pro-europäischen Kräfte wollen dagegen die Geflüchteten nicht aus Europa aussperren, sondern für ein besseres Leben aller sorgen.“ Luisa Barbas, die familiäre Wurzeln in Griechenland hat, erinnerte an die große Solidarität gerade der Menschen vor Ort auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung.

Luisa Barbas, DiEM25 - Democracy in Europe Movement 2025Einig war sich das Panel, dass die europäische Seenotrettung nicht eingestellt werden dürfe. Es sei nicht verhandelbar, dass vom Ertrinken bedrohte Menschen selbstverständlich gerettet werden müssten. Zu diskutieren sei vielmehr, ob die Dubliner Regelungen zu Asylverfahren innerhalb der EU überhaupt fair seien. Außerdem müsse eine Möglichkeit für legale Einwanderung für Menschen geschaffen werden, die innerhalb der EU arbeiten wollten.
Hingewiesen wurde auch auf die Fluchtursachen. Als Beispiel wurde angeführt: „Wenn EU-Unternehmen die Küstengewässer vor dem Senegal leerfischen, ist es kein Wunder, wenn die Menschen auswandern, um woanders ihr Auskommen zu finden!“

Pascal Thibaut wies darauf hin, dass gerade die deutsche Politik sich lange Zeit um Afrika viel zu wenig gekümmert habe: „Afrika war geradezu ein weißer Fleck auf der geopolitischen Landkarte!“. Erst nach 2015 seien viele Aktivitäten und Projekte ins Leben gerufen worden, Kanzlerin Merkel habe erst dann viele Länder in der Region besucht, als die Migration zum Problem geworden sei. „Nur wenn aber ein echtes Interesse und ein Wille bestehen, die Fluchtursachen zu bekämpfen, kann auch dem Terrorismus der Nährboden entzogen werden“, so der Radio-France- Korrespondent. Für Thibaut wäre es sehr wichtig, dass „eine gemeinsame europäische Außenpolitik“ realisiert würde. Allerdings stünde dem u. a. das Einstimmigkeits-Prinzip im Weg. 

In der Diskussion mit dem Publikum wurde ebenfalls kritisiert, dass die Dublin-Regelungen nicht abgeschafft würden, obwohl längst bekannt sei, dass die Regeln unbrauchbar wären. Es wurde vertreten, dass es häufiger ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ geben müsse, wenn einzelne Länder nicht kooperativ seien. Angemerkt wurde aber auch, dass die deutsche Eigenwahrnehmung als „Stabilitätsanker“ in einem großen Kontrast zur Fremdwahrnehmung anderer europäischer Akteure stünde, die die deutsche Sparpolitik als Entwicklungshemmnis betrachteten. Gefordert wurde auch, die europäische Idee positiv zu vermitteln. Europa stünde für Frieden, Freiheit, Vielfalt. Und internationale Fragen wie die Klima-Katastrophe seien eben auch nur international zu lösen.

GSI-Direktor Ansgar Burghof formuliert das FazitAm Ende der intensiven Podiums-Debatte formulierte GSI-Direktor Ansgar Burghof als Fazit, dass „in das Lastenheft der Europäischen Politik“ eine große Anzahl von Aufgaben geschrieben worden wären. „Es gibt eine ganze Menge zu tun!“, so Burghof, „und es ist aller Ehren wert, daran zu arbeiten“.

World-CaféBereits vor der Podiumsdiskussion hatten interessierte Bürgerinnen und Bürger in einem World-Café darüber diskutiert, welche Themen aus ihrer Sicht prioritär sind. Dazu gehörten Fragen wie Klima-Schutz, nachhaltige Agrarpolitik, Achtsamkeit gegenüber Ressourcen, Biodiversität aber auch die Forderung nach mehr Transparenz  und der Wunsch „Gemeinsamkeiten zu finden, um voran zu kommen.“ Die Herausforderungen für die neue Legislaturperiode des Europäischen Parlamentes sind wahrhaft vielfältig.

Am 6. Juni 2019 findet die Abschluss-Veranstaltung in der Reihe „Europa – Vor welcher Wahl stehen wir?“ statt: „Weltbürger versus Populisten? Wie ist die Situation im Haus Europa? Resümee und Auswertung der Wahl.“