Eine Region am Abgrund?

„Die Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten und die Auswirkungen auf Europa“ lautete der Titel des 7. Nahost-Talks von GSI und der Deutschen Initiative für den Nahen Osten (DINO). In der Diskussion am Donnerstag, 17. Mai, im GSI stand insbesondere der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran im Mittelpunkt. Auch die Interessen der der USA im Nahen Osten und die Rolle der Vereinten Nationen wurden kontrovers diskutiert.

In der Begrüßung wies Dr. Ansgar Burghof, Direktor des GSI, darauf hin, dass die „Konflikte in unser Nachbarregion eskalieren“. Das mühsam austarierte System von Interessen, Rücksichten und gegenseitiger Akzeptanz gerate immer mehr aus dem Gleichgewicht. In dieser Situation müsse „Europa handeln!“, forderte Burghof. „Und dies mit einer Stimme. Mit der Stimme der Vernunft, des Ausgleichs, getragen von historischem Verständnis und rationaler Analyse.“ Und dazu gehöre immer auch die nüchterne Beschreibung dessen, was ist.   

„Es ist ja schon fast mein Mantra, dass Deutschland und Europa sich im Nahen Osten stärker engagieren müssen“, erklärte auch der DINO-Vorsitzende, Prof. Jürgen Bremer zu Beginn der Veranstaltung. Er fügte hinzu, dass er mittlerweile eine entsprechende Entwicklung sehen könne. So sei etwa die Reaktion von EU-Ratspräsident Donald Tusk auf die Aufkündigung des Iran-Atom-Abkommens durch die USA deutlich schärfer ausgefallen, als erwartet. Und auch in der Bundesregierung sei das Bewusstsein erkennbar, „dass wir etwas tun müssen“, so Bremer. „Hinweise darauf, was genau zu tun ist, erwarte ich mir vom heutigen Panel“, leitete Bremer anschließend in die Diskussion über. 

 

Dass die Europäische Union sich stärker im Nahen Osten einbringen müsse, teilte auch Dr. Gunter Pleuger, früherer deutscher UNO-Botschafter. Pleuger wies allerdings darauf hin, dass derzeit lediglich aus Frankreich politische Entscheidungen zu erwarten seien. Und: „Die EU kann nicht ohne die Vereinten Nationen handeln“, sagte Pleuger weiter. „Wir brauchen die UNO, die als einzige globale Organisation globale Probleme angehen kann.“ Man dürfe dabei aber nicht von falschen Voraussetzungen ausgehen, ergänzte der frühere Botschafter. „Die UNO ist keine Weltregierung. Sie kann nur leisten, was die Mitgliedsstaaten leisten wollen.“

 

Mit Bezug auf die Aufkündigung des Iran-Atom-Abkommens durch die USA erläuterte Pleuger, dass es wichtig sei, die rechtliche Dimension gründlich zu prüfen. So habe das Abkommen durch den Beschluss des Sicherheitsrates dazu eine völkerrechtliche Wirkung bzw. Bindung, die durch eine Aufkündigung durch einen Vertragsstaat nicht tangiert werde.

 

Einen Großteil der von Thomas Nehls moderierten Diskussion nahm der Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ein. Diesen Konflikt schätzte das Panel einhellig als sehr gefährlich ein. Susanne Koelbl, Auslandsreporterin des Spiegel, erklärte, dass viele der Protagonisten im Nahen Osten nur wenig Interesse an einer Lösung der anhaltenden Auseinandersetzungen hätten. So würde in Saudi Arabien dem „Interesse am eigenen Machterhalt“ alles andere untergeordnet. Es gäbe zwar Reformansätze, gleichzeitig stehe die Staatsführung vor einer innenpolitisch schwierigen Situation. Koelbl nannte als Beispiel die hohe Staatsverschuldung. Dies führe dazu, dass man eine Konfrontation von außen – etwa durch den Iran – als existentielle Bedrohung wahrnehme. „Und die Iraner provozieren Saudi-Arabien durchaus“, so Koelbl. Zwar habe es schon immer Konflikte zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gegeben, erklärte die Journalistin, aber derzeit sei keine Bereitschaft der beiden Länder zu erkennen, konstruktiv aufeinander zuzugehen.

 

Loay Mudhoon, Nahost-Experte bei der Deutschen Welle, sah in der aktuellen Situation durchaus Potenzial für eine kriegerische Auseinandersetzung. Insbesondere US-Präsident Trump habe mit seiner Radikalität stark dazu beigetragen, dass die Region derzeit am Abgrund stehe, sagte Mudhoon. Er zeigte sich besorgt, dass es zwischen dem Iran auf der einen Seite und Saudi-Arabien und dessen Verbündeten, den USA, zu einem Krieg kommen könnte. Sollte sich auch noch Israel militärisch in die Auseinandersetzung einschalten, sei für die Region das Schlimmste zu befürchten. Mudhoon wies darauf hin, dass ein solcher Krieg auch global desaströse Auswirkungen haben könne, wenn etwa die Finanzmärkte in Panik gerieten. Ein langfristiger Ausweg aus der Konfrontation könne nur gefunden werden, betonte der erfahrene Diplomat Pleuger, wenn eine ehrliche Analyse der Gründe für die vielfältigen Konflikte erfolge und gemeinsam über Lösungen verhandelt würde. Für diesen Prozess sei Vertrauen aber die wesentliche Grundlage. Eine Politik, die auf einen „System-Change“ im Iran abziele, wurde von der Expertenrunde als völkerrechtswidrig und gefährlich eingestuft. Durch solche Forderungen würde Misstrauen geschürt. 

 

Die EU müsse sich stärker von den USA emanzipieren, sich auf ihre eigene Stärke besinnen und gemeinsam handeln. Als „größter Markt der Welt“ könne man einem angedrohten Handelskrieg gelassen entgegen sehen. Das Völkerrecht biete zudem wirksame Instrumente, um Konfrontationen einzudämmen. Diese sollten die EU auch nutzen.

 

Die Lage in der Region, so das Fazit des siebten Nahost-Talks, bietet zurzeit wenig Anlass zu Optimismus. Umso mehr sei es wichtig, den Dialog fortzusetzen. Für den 22. November 2018 ist deshalb der achte Nahost-Talk eingeplant.

 

Fotos: Eduard F. Fiegel