„Es ist auch unser Problem, was im Nahen Osten passiert!“

„Wie weiter in Nahost?“, lautete die zentrale Frage beim 9. Nahost-Talk im Gustav-Stresemann-Institut. Die Konsequenzen der Wahlergebnisse zur israelischen Knesset standen im Fokus der Diskussionsrunde am 25. April, die wieder vom Berliner Journalisten Thomas Nehls moderiert wurde.

Gleich zu Beginn wies GSI-Direktor Dr. Ansgar Burghof in seiner Begrüßung darauf hin, dass die künftige israelische Politik auch Auswirkungen auf die gesamte Region und damit auf die weltweite Sicherheitslage habe. „Das Verhältnis zu den Palästinensern, die Siedlungspolitik, das Zusammenspiel mit US-Präsident Trump, die Golan-Höhen, das Westjordanland – das sind“, so Burghof, “nur einige Beispiele dafür, wie Israel mit seinem Handeln die Situation im Nahen Osten und damit in der ganzen Welt beeinflusst.“

Prof. Jürgen Bremer, Sprecher der Deutschen Initiative für Nahen Osten (DINO), mit dem das GSI den Nahost-Talk veranstaltet, betonte, dass die Kritik an der israelischer Politik auch der „Ausdruck echter Freundschaft mit Israel“ sein könne. Er warnte, dass der voreilige Antisemitismus-Vorwurf genauso so falsch sei wie der Antisemitismus selber, der jedoch zunehme.

Der erneute Wahlsieg des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der inzwischen länger im Amt ist als alle seine Vorgänger, ist für den Historiker Prof. Moshe Zimmermann darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung keine echte Alternative sehe. Netanjahu „kann amerikanisch“, erklärte Zimmermann, kenne also die Mentalität und Ziele des wichtigsten Bündnispartners, Netanjahu verfüge über „große Erfahrung“ und wisse, welche Erwartungen die israelische Bevölkerung hegt.


Prof. Dr. Rita Süssmuth beobachtet allerdings durchaus auch ein „neues Denken in der jungen Generation“. Diese litte auch unter der Besatzung und versuche neue Kooperationen in der Region aufzubauen. „Es ist auch unser Problem, was im Nahen Osten passiert!“ stellte die ehemalige Bundestagspräsidentin fest.


Der SPD-Außenpolitiker Dr. Rolf Mützenich hatte zwar mit diesem Wahlausgang gerechnet, sieht ihn aber „mit einer gewissen Enttäuschung“. „So kommen wir nicht voran!“ erklärte der Bundestagstabgeordnete, im Gegenteil:  “Vieles was aufgebaut wurde, wird verschüttet.“ Mützenich schilderte seine Erlebnisse im Willy-Brand-Zentrum in Jerusalem: „Es ist wichtig, dass die jungen Menschen ihre Interessen vertreten. Zurzeit wird etwa das soziale Problem, das ganz entscheidend ist, von den sicherheitspolitischen Themen ausgebremst.“


Auch der Vertreter des Deutschen Palästina-Forums, Dr. Aref Hajjaj, zeigte sich vom Wahlausgang wenig überrascht. Für die Palästinenser sei dies allerdings der „worst case“. Da sie über keinerlei strategische Partner mehr verfügten, charakterisierte Hajjaj die palästinensische Lage drastisch: „Es gibt nicht nur kein Licht am Ende des Tunnels, es wird immer düsterer.“ Der Politikwissenschaftler Hajjaj sieht auch ein Versagen der palästinensischen Führer und forderte, dass in den palästinensischen Gebieten endlich Wahlen abgehalten werden müssten – die letzten habe es 2010 gegeben.
Kritik an der israelischen Besatzung wurde von allen Podiumsgästen geteilt. Moshe Zimmermann erklärte, es werde keine echten politischen Alternativen geben, solange die Besatzung andauere und frage: „Was tut Europa, um hier strategische Hebel zur Beendigung der Besatzung anzusetzen?“ Auch Prof. Süssmuth sieht Europa in der Pflicht, „klar Position gegen Besatzungsunrecht“ zu beziehen. Für Rolf Mützenich ist das Völkerrecht das stärkste Argument: „Die Bundesregierung muss auf der Basis des Völkerrechts argumentieren!“ Und Dr. Hajjaj erinnerte daran, dass bereits der frühere Außenminister Genscher die Räumung der besetzten Gebiete gefordert habe.


Moderator Thomas Nehls gab dem Publikum die Gelegenheit, Fragen und Anmerkungen zu formulieren. Dabei wurde unter anderem die Frage diskutiert, dass es keine „doppelten Standards“ im Völkerrecht geben dürfe: Wer die Besetzung der Krim kritisiere, dürfe zum Vorgehen der israelischen Regierung nicht schweigen. Dabei schilderten Einzelne auch das Problem, dass die Kritik an der Besatzung, wie sie beispielsweise von der BDS-Kampagne – mit der Forderung von „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen um gewaltlos Druck auf Israel auszuüben“ – geäußert werde, mit Antisemitismus gleichgesetzt würde. Moshe Zimmermann betonte, dass es wichtig sei, sich mit der Geschichte und dem Begriff des Antisemitismus auseinander zusetzen, um zu verhindern, dass dieser als taktisches Argument verwendet werde.


Ein Resümee der lebhaften Debatte zog Prof. Dr. Süssmuth, in dem sie die Zivilgesellschaft aufforderte, ihr Potential zu nutzen. „Die Zivilgesellschaft kann viel bewegen, sie kann einen großen Einfluss auf die Politik entfalten und ist nicht ohnmächtig!“ Diese Anregung bekräftigte Dr. Burghof in seinem Schlusswort mit dem Versprechen, mit dem Bemühen, die Situation in Nahen Osten zu analysieren, nicht nachzulassen.

Der 10. Nahost-Talk ist für den 4. Juli 2019 geplant.

Fotos: Eduard N. Fiegel